Die Stadt der kreativen Privatisierung

Was Plakatierverbote mit der Öffentlichkeit in der Stadt zu tun haben

city.crime.control, August 2010

Als Akteure im urbanen Raum nehmen wir unfreiwillig an einem Langzeit-Versuch teil. Die Bestandteile dieses Experiments sind: die Absicht, Ansehen und wirtschaftlichen Reichtum einer Stadt durch Steuerung und Impulse zu mehren; der immer währende Wunsch nach Reglementierung und Beherrschung eines zu Entropie neigenden urbanen Raums; sowie der etwas neuere Ansatz, immaterielle Faktoren (behelfsweise unter dem diffusen Begriff Kreativität zusammengefasst) für diese Ziele nutzbar und nutzbringend zu machen. Da dieses Unterfangen eben experimentell ist, wird mal mit scharfer Klinge, mal mit flauschigen Wattebäuschen hantiert in der Hoffnung, das der Körper dadurch wohlgeformter wird, rund und harmonisch, aber immer noch ein wenig eckig und eigen bleibt.

Der hierfür postulierte Wettkampf um Aufmerksamkeit, Beliebtheit und Erfolg der Städte ist Triebfeder und fragwürdige Rechtfertigung zugleich. Deutlichste Zeichen dieses Antriebs sind Spektakel und bauliche Großprojekte, wie derzeit die Kulturhaupstadt Ruhr.2010 oder der Bau der Elbphilharmonie in Hamburg. Dabei leiden die Stadtverweser an einer gewissen Schizophrenie. Denn in ihrer Ausrichtung sind diese Rezepte in den westlichen Metropolen weitgehend ähnlich, während sie darauf abzielen, eine Unterscheidbarkeit zwischen den (geformten) Städten herauszuarbeiten. So neigen sie zu gleichförmigen Ergebnissen, wenn auch weniger in der Betrachtung einzelner »Leuchtturm«-Projekte diese versuchen ja gerade, die schnöde Realität zu überstrahlen , als in ihren Auswirkungen auf das soziale und kulturelle Klima einer Stadt.

In der Stadtentwicklung wird versucht, alle Ebenen der Kulturproduktion für die eigenen Ziele einzusetzen. Bestandsschutz jedoch und Selbstbestimmung für die freien No- oder Low-Budget-Projekte, für soziale und politische Initiativen sowie eine Existenzsicherung der Akteure sind Fehlstellen im derzeitigen städtischen Paradigma. Diese haben von dieser Instrumentalisierung meist nicht mehr, als dass sie sich in den Imagebroschüren des Stadtmarketings wieder finden. Das Motto »Wandel durch Kultur« bedeutet für die Kulturproduktion eine Umklammerung aus brotloser Liebkosung und ruppiger Gängelung, ohne dass sich an der rechtlichen wie ökonomischen Ent-Sicherung – die neben der immer schon prekären Kulturarbeit heute weite Teile der Gesellschaft betrifft – etwas ändern würde.

In diesen Untergeschossen der Kulturproduktion sind selbstproduzierte Flyer, Aufkleber und Plakate das günstigste, effektivste, und mangels anderer Ressourcen oft das einzige Mittel, um die eigenen Aktivitäten über den unmittelbaren Kontext hinaus bekannt zu machen. Diese Medien sind dabei Informationsträger im öffentlichen Raum, die sich zwischen die Schaufenster des Einzelhandels und die Werbeflächen der Industrie quetschen. Spätestens aber seit dem Aufkommen von Matrizendruckern und XEROX-Fotokopierern versucht auch die Stadtverwaltung in Bremen, freies Plakatieren zu reglementieren. Dafür wurden Verordnungen erlassen, exemplarische Bestrafungen vorgenommen und periodisch ein medialer Verwahrlosungsdiskurs genährt. Alle Maßnahmen hatten bislang nur zeitlich und örtlich begrenzten Erfolg. Das freie Plakatieren gehört erfreulicherweise weiterhin zum Stadtbild, ebenso wie die vielen anderen visuellen Ausdrucksformen wie Graffiti, Street Art, Tags und Sticker. Die Eindämmungsversuche wiederum beziehen sich auf einen Diskurs, der zerfledderte Plakatwände als Wegbereiter eines Abstiegs von Stadtteilen sieht. Dieser scheinbar zwangsläufige Abstieg würde mit ästhetischen »Beeinträchtigungen« beginnen, über Vandalismus und Drogendelikten zu einem sozialen und wirtschaftlichen Abstieg führen und sein Ende in einer völligen Verslumung finden. Dieser, übrigens sehr umstrittenen, These wird sich seit Jahren, mal in dezenter, mal in lauter Tonlage, auch in Bremen bedient, ohne dass ihre Zwangsläufigkeit durch stete Wiederholung an Plausibilität gewinnen würde. Ungeachtet der Ursachen und Wirkungen von sozialen Veränderungsprozessen werden damit aber kontrollgesellschaftliche und polizeiliche Mittel als einzige wirksame Antwort aufgestellt. Dabei besteht der Verdacht, dass mit diesem Diskurs weniger das Gemeinwohl im Vordergrund steht, sondern vielmehr ein Protektionismus für den örtlichen Einzelhandel. Zumal dessen Interessen durch die Einführung von Business-Improvement-Distrikten (wie jüngst im Viertel) weitgehende Gestaltungs- und Steuerungsmöglichkeiten über den öffentlichen Raum gegeben wird.

Stromkasten mit leeren Plakatrahmen

Da sich die bisherigen Gegenmaßnahmen gegen das Plakatieren als nicht sehr wirkungsvoll erwiesen haben, ist der aktuelle Ansatz der bremischen Stadtverwaltung, die Oberflächen städtischer Funktionsobjekte jeder Art, von Mülleimern bis zu Stromkästen und Verteilerhäuschen und somit aller gut geeigneten Flächen für das Anbringen von Plakaten und Aufklebern, zu privatisieren. Sie werden einem Unternehmen, der sk kulturwerbung, überlassen, damit diese sie vermarktet, vor allem aber vor dem Zugriff durch andere schützt. Da diese Überlassung weder verständlich ist noch in den meisten Fällen erfolgreich vermarktet wird, kleben an allen Stromkästen kleine gelbe Warnhinweise. Damit werden diese Flächen als Eigentum der sk kulturwerbung markiert, die Nutzung als Plakatflächen verboten und bei Verstoß gegen diese Übernahme mit einem halben Dutzend Paragraphen gedroht. Diese Überlassung ist eine Enteignung im doppelten Sinn: Zum einen werden nicht-wirtschaftlich genutzte Flächen im öffentlichen Raum einer Vermarktung zugeführt und damit der Nutzung als frei zugängliche Kommunikationsmedien entzogen, zum anderen werden diese Flächen von einem Unternehmen verwaltet, das keiner direkten demokratischen Einflussnahme mehr unterliegt und alle Nutzungsformen dieser Flächen als abmahnbares Handeln von Konkurrenten sieht.

Warnhinweis der sk kulturwerbung

Immer wieder gehen die Anwälte dieser Firma, die anscheinend allein für diesen Zweck gegründet wurde, gegen jene Kulturprojekte in der Stadt vor, für deren Veranstaltungen auf diesen Flächen geworben wurde. Mit der Androhung von drastischen Konsequenzen werden sie aufgefordert, die Rechte der sk kulturwerbung schriftlich anzuerkennen und die Verantwortung für die nicht erkaufte Nutzung der städtischen Flächen zu übernehmen. Solange die Betroffenen diese Drohung nicht zurückweisen – angesichts der rechtlichen Fragwürdigkeit dieses Vorgangs eine vernünftige Reaktion –, akzeptieren sie mit ihrer Unterschrift, dass bei einem Verstoß gegen die Vereinbarung 15.000 Euro Vertragsstrafe zu zahlen sind. Die Höhe dieser Summe ist für die meisten Projekte existenzgefährdend und bedroht ihre alltägliche Arbeit.

Vor zwölf Jahren wurde eine Antwort auf solche städtischen Regulationsbestrebungen formuliert. Als im Rahmen einer »Aktion Saubere Stadt« ein weiterer Vorstoß unternommen wurde, freies Plakatieren zu verbieten – und damit der Weg für die jetzige Privatisierung bereitet wurde –, starteten verschiedene Einrichtungen und Projekte eine Gegenkampagne unter dem Motto »Plakatieren erwünscht!«. Kern dieser Kampagne war der Anspruch, dass es kostenfreie Plakatflächen geben muss, damit subkulturelle und politische Projekte öffentlich für ihre Arbeit werben können. Von den damaligen Verantwortlichen des Verbots wurden Gespräche eingefordert, in deren Verlauf jedoch lediglich ein geringfügiger Rabatt für kostenpflichtige Werbeflächen angeboten wurde. Die Gespräche wurden deshalb von den Initiativen abgebrochen. (In der Folge gründete sich aus dem Bündnis übrigens die Gruppe city.crime.control, um Stadtentwicklung und Stadtpolitik in ihren verschiedenen Ausformungen zu kritisieren.)

Fakisimile Plakatieren erwünscht!

Plakat der Kampagne "Plakatieren erwünscht!" von 1998

Weiterhin ist freies Plakatieren eine wichtige Kommunikationsform. Sie ist Teil dessen, was den Raum zwischen gebauter Architektur, den Verkehrswegen, Plätzen und Bürgersteigen zu einem öffentlichen Raum macht. Solange sich nicht von dem Konzept der Privatisierung und Vermarktung verabschiedet wird, sind von Appellen an die Verantwortlichen ein paar armselige Reservate für »Kulturplakate« als maximale Antwort zu erwarten. Deshalb gilt es vielmehr, als Minimum zu fordern: Freies Plakatieren als öffentliche Kommunikation zu respektieren und die Privatisierung von städtischen Flächen zu beenden, damit diese weiterhin als allgemein zugängliche Allmendefläche genutzt werden können.

city.crime.control
August 2010
info@citycrimecontrol.net
http://citycrimecontrol.net

>> Die Stadt der kreativen Privatisierung (PDF Version, 245 KB)
>> “City of creative privatisation” – english version of this text