Vorträge und Diskussion zur Kritik an kontrollgesellschaftlichen Entwicklungen.
Donnerstag, 24.9.2009 ab 20:00 Uhr in der Spedition, Bremen
mit Lars Schmid (Theoretiker und Performancekünstler, Wien), Peer Stolle (Rechtsanwalt, Berlin), Jan Wehrheim (Wissenschaftler, Bremen/Hamburg). Moderation: Nicole Vrenegor (Hamburg)
Eine Veranstaltung im Rahmen von "Me, Myself & the Media" in Kooperation mit dem Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV)
In den letzten Jahren sind hierzulande eine Vielzahl von gesetzlichen Bestimmungen verabschiedet worden, die auf juristischen, organisatorischen wie technischen Ebenen eine massive Ausweitung von Kontrolle ermöglicht haben. Im Zuge dieser Entwicklung sind Polizei und Geheimdienste mit erweiterten Kompetenzen ausgestattet und technische Überwachungsysteme (von Videoüberwachung bis zur Langzeit-Speicherung von Kommunikationsdaten) verfeinert und ausgebaut worden.
Die zunehmende Informatisierung und Vernetzung der Gesellschaft eröffnet hierbei neue und tiefgreifende Möglichkeiten allgegenwärtiger Kontrolle, die durch gesetzliche und technische Maßnahmen ausgeschöpft werden. Damit einhergehend hat sich eine grundsätzliche Verschiebung vom Paradigma einer nachträglichen Disziplinierung von Verstößen gegen geltendes Recht hin zu einem Paradigma der Prävention entwickelt, in dem der Staat umfassendes Wissen zu erlangen sucht, um Verstöße und gar unerwünschtes Verhalten von vornherein zu verhindern. Ermöglicht und forciert wird diese Ausrichtung durch einen anhaltenden gesellschaftlichen Diskurs, der mit Verweis auf tatsächliche oder imaginierte Bedrohungsszenarien, freiheitliche Grundrechte auf Kosten des Ausbaus von Eingriffs- und Kontrollrechten relativiert und beschneidet.
Die staatlichen Apparate sind zwar die sichtbarsten, aber nicht die einzigen Akteure, die Kontrolle ausüben. Vielmehr tangieren kontrollgesellschaftliche Phänomene heute praktisch alle Lebensbereiche, haben kulturelle und soziale Auswirkungen. Der kontinuierliche Ausbau ruft zwar immer auch Kritik und Proteste hervor, so zuletzt bei der großen Demonstration »Freiheit statt Angst« am 12.9. in Berlin. Es ist aber bislang nicht gelungen, diesen Entwicklungen Einhalt zu gebieten, sondern sie allenfalls punktuell zu bremsen.
Mit der Veranstaltung »Die Kontrolle der Räume« werden die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Diskurse sowie konkrete räumliche, soziale und politische Aspekte einer Sicherheits- und Kontrollgesellschaft thematisiert. Über das Verständnis ihrer Ausbreitung und der damit verbundenen Auswirkungen hinaus werden Kritik und Perspektiven der Gegenwehr vorgestellt und diskutiert.
Die Veranstaltung bildet den Auftakt zu dem Labor »Me, Myself & the Media«. In den drei darauf folgenden Tagen werden mit praktischen Ansätzen, in Arbeitsgruppen, Diskussionen und Ausflügen in den öffentlichen Raum die Wechselwirkungen von elektronischen Medien und urbanen Räumen zwischen Selbstermächtigung, Kontrolle und Hyperrealität untersucht.
Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) ist ein bundesweiter Zusammenschluss kritischer Rechtsanwält_innen mit dem gemeinsamen Anliegen, den Vorrang von Menschen- und Bürgerrechten gegenüber den Interessen staatlicher und wirtschaftlicher Institutionen zu sichern und herzustellen.
Lars Schmid lebt in Wien und arbeitet als Theoretiker und Performancekünstler mit der Company red park. Forschungsschwerpunkte sind Machtanalytik, der urbane Alltag und Performance-Theorie.
Peer Stolle ist Rechtsanwalt in Berlin und beschäftigt sich mit den Folgen staatlicher Terrorismusbekämpfung, der Erweiterung polizeilicher Eingriffsbefugnisse und modernen Formen sozialer Kontrolle. Er ist Mitglied im Vorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) und zusammen mit Tobias Singelnstein Autor des Buches »Die Sicherheitsgesellschaft. Soziale Kontrolle im 21. Jahrhundert« (VS-Verlag, Wiesbaden).
Nicole Vrenegor, Politologin und Journalistin, lebt und arbeitet in Hamburg. Sie ist Redakteurin der Monatszeitung ak - analyse und kritik, aktiv in der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) und gehört zum Archiv »Kultur & Soziale Bewegung« .
Dr. Jan Wehrheim lehrt und forscht seit vielen Jahren zu Fragen von Stadtentwicklung, Überwachung, Kontrolle und sozialer Ausgrenzung. Er ist Autor bzw. Herausgeber der Bücher "Die überwachte Stadt" (2006), "Shopping Malls - interdisziplinäre Betrachtungen eines neuen Raumtyps" (2007) sowie "Der Fremde und die Ordnung der Räume" (2009).